Wesen und Eigenart

Kletterkünstler und Ausbrecher

Ziegen sind neugierig, intelligent und mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet. Das macht ihre Haltung zu einer interessanten und steten Herausforderung. Man sollte sich nie zu sicher fühlen, dass gewohnte Abläufe jedes Mal funktionieren – denn Ziegen sind immer für eine Überraschung gut.

Der ursprüngliche Lebensraum der Vorfahren unserer Hausziegen ist das Hochgebirge. Ziegen sind daher wahre Kletterkünstler und erreichen Futterstellen, die für andere Tiere unerreichbar sind. Auch ihre Ruheplätze suchen sie bevorzugt in erhöhter Position. Um ein natürliches Verhalten zu ermöglichen, brauchen Hausziegen ausreichend Klettermöglichkeiten und Liegebretter.

Dass Ziegen deutlich besser und lieber klettern als Schafe, verdanken sie ihren speziellen Hufen: Eine harte äussere Schale und eine weiche, flexible Sohle geben ihnen perfekten Halt auf Felsen, Bäumen und steilen Hängen. Schafe mit ihren robusteren, weniger flexiblen Hufen können da nicht mithalten. Ziegen nutzen diese Fähigkeit, um an Blätter und Äste zu gelangen oder sich bei Gefahr in Sicherheit zu bringen – während Schafe sich eher auf den Schutz der Herde verlassen.

Ihre Beweglichkeit macht sie zu wahren Ausbruchskünstlern. Eine Ziege kann nicht nur behände klettern, sondern auch aus dem Stand bis zu 1,50 Meter hoch springen. Diesem Umstand ist bei der Umzäunung unbedingt Rechnung zu tragen. Ziegen können zudem problemlos auf den Hinterbeinen stehen oder auf Bäume klettern, um an die schmackhaftesten Blätter zu gelangen. Insbesondere Fruchtbäume sind daher gut zu schützen.


Feine Sinne

Ziegen verfügen über einen ausgeprägten Geschmacks- und Geruchssinn. Neben der Riechschleimhaut dient auch das sogenannte Jacobsonsche Organ zur Analyse von Gerüchen. Dabei handelt es sich um einen kleinen Kanal hinter den Schneidezähnen im Gaumen, der bis zur Nasenhöhle reicht. Die Geruchsaufnahme über dieses Organ – das sogenannte Flehmen – ist am geöffneten Maul und an der gehobenen Kopfhaltung erkennbar.

Ziegen können süss, sauer, salzig und bitter unterscheiden. Gegenüber Bitterstoffen und pflanzlichen Gerbstoffen (Tanninen) haben sie eine erhöhte Toleranz, weshalb beispielsweise Tannenäste gerne verzehrt werden. Eine besondere Vorliebe besteht für alles Salzige. Salz- und Minerallecksteine sind daher nicht nur gesund, sondern auch sehr beliebt.

Als Fluchttiere sind Ziegen stets auf der Hut. Dank ihrer horizontalen Pupillenschlitze verfügen sie über ein weites Gesichtsfeld mit einer ausgezeichneten Rundumsicht von etwa 270 Grad. Die hauptsächlich vertikale Verengung der Pupille ermöglicht auch an sonnigen Tagen gute Sichtverhältnisse. Ziegen können Farben erkennen, wobei ihr Farbsehvermögen gegenüber dem des Menschen eingeschränkt und weniger intensiv ist.


Klug und lernfähig

Das Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) in Dummerstorf untersuchte das visuelle Lernvermögen von Nutztieren anhand von Zwergziegen. Die Ergebnisse zeigen: Ziegen reagieren auf primäre Verstärker in Form von Belohnungen ebenso wie auf sekundäre Verstärker (Töne) und eine Kombination beider. Sie können sogar ähnliche Symbole zuordnen – sogenannte Transferaufgaben. Nach den Beobachtungen des Instituts kann das Meistern von Lernaufgaben das Wohlbefinden der Tiere steigern.


Wählerische Feinschmecker

Anders als reine Raufutterfresser wie Rind oder Schaf, die sich hauptsächlich von Gras ernähren, sind Ziegen ausgesprochen wählerisch. Je grösser das Nahrungsangebot, desto gezielter selektieren sie. Bevorzugt werden Blätter. Auf einer Weide werden daher zunächst ungeschützte Bäume und Sträucher «bearbeitet» – junge Triebe, Blüten und Zweige haben Vorrang. Gerne wird auch die Rinde abgeschält, vor allem bei Apfel- oder Tannenbäumen. Sind keine Blätter vorhanden, werden Kräuter und Leguminosen dem Gras vorgezogen.


Klare Hierarchien

Ziegen leben in ausgeprägteren Rangordnungen als Schafe. Die Auseinandersetzung um die Vormachtstellung ist entsprechend härter. Hierarchien werden mit Drohgebärden und Kämpfen ausgefochten. Laufstall und Futterstationen sollten daher so gestaltet sein, dass auch rangniedere Tiere genügend Futter und Ruhe finden.

Die festen Rangordnungen haben zur Folge, dass sich neue Ziegen nur selten reibungslos eingliedern. Bestandesveränderungen führen meist zu Unruhe und Aggressionen. Aus diesem Grund ist eine hohe Herdenstabilität anzustreben. Umgruppierungen sollten nicht ohne Not vorgenommen werden. Die Bestandesergänzung durch eigene Nachzucht ist dem Zukauf weiblicher Ziegen vorzuziehen.

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